„Es ist unglaublich, wie gut sich Zehnder mit den Musikern aus Hradec Králové versteht. Das spürt man auf der Bühne an den Gesten, den gegenseitigen Blicken, dem Ausdruck von Konzentration und dem Austausch von Lächeln.“,
schreibt Roman Marčák in seiner Konzertbesprechung vom 30.4. 2023 im tschechischen Online-Magazin „klasikaplus“ über das Abonnementskonzert der Philharmonie Hradec Králové vom 27. April 2023. Dirigiert wurde das Konzert von Chefdirigent Kaspar Zehnder.
Deutsche Übersetzung der Konzertbesprechung vom 30. April 2023 im Online-Magazin „klasikaplus“
Auf den Wogen der Romantik mit der Philharmonie Hradec Králové und Jiří Vodička
Autor: Roman Marčák
„Dirigent Kaspar Zehnder scheint genau zu wissen, was er tut; er will allen Raum zum Spielen geben, und dabei gelingt es ihm, das Ensemble in einem bezaubernden Zusammenhalt zu halten.“
„Vodicka beschwört spielerisch die vorgegebene Melodie, spielt mit ihren Nuancen, berauscht sich an der Niedlichkeit und bewältigt dann bravourös die Kadenz des ersten Satzes.“
„Das Orchester entwickelt Wagners endlose Melodie in einer Weise, als ob es nach Eintrittskarten für Bayreuth fragen würde…“
Die Philharmonie Hradec Králové hat für ihr Abopublikum ein Konzert ihres großen Sinfoniezyklus mit bekannten Werken der Romantik vorbereitet. Musik von deutschen und österreichischen Komponisten wie Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Schubert und Richard Wagner erklingt im Saal. Die Karten für den Abend, an dem der Konzertmeister der Tschechischen Philharmonie, Jiří Vodička, als Solist auftrat und der Chefdirigent des Orchesters, Kaspar Zehnder, das Konzert dirigierte, waren in der Stadt sehr begehrt; es war fast unmöglich, in letzter Minute einen Platz zu bekommen. Die Philharmonie Hradec Králové bestätigte ihre derzeitige hervorragende Form und bereitete dem Publikum wieder einmal ein großartiges Musikerlebnis.
Vor einiger Zeit schrieben wir an dieser Stelle, dass mit der Ankunft des Schweizer Dirigenten Kaspar Zehnder der Prozess für das Orchester am Zusammenfluss von Elbe und Orlice abgeschlossen ist, in dem es sich allmählich von einem rein regionalen Ensemble zu einem vollwertigen Teilnehmer der tschechischen Musikszene entwickelt. Es ist unglaublich, wie gut sich Zehnder mit den Spielern aus Hradec Králové versteht. Das spürt man auf der Bühne an den Gesten, den gegenseitigen Blicken, dem Ausdruck von Konzentration und dem Austausch von Lächeln. Allerdings haben wir keinen Zugang zu den Proben, wo diese Symbiose sicher noch verfeinert wird. Im Konzert funktioniert jedenfalls alles, wie es soll.
Wie kann man am besten eine romantische Atmosphäre schaffen? Webers Vorspiel zu The Sorcerer enttäuscht nie. Sobald die Hörner am Anfang erklingen, befinden wir uns in einer anderen Welt. Die Hörner müssen aber nicht nur geheimnisvoll sein, sondern auch ein hohes Maß an Selbstbewusstsein an den Tag legen – jeder Fehltritt wäre unverzeihlich. In Hradec gelang dies vom ersten Moment an mit Bravour; die Mitglieder der Gruppe schwankten nicht. Nach und nach gesellten sich andere Instrumentengruppen hinzu, die Atmosphäre verdichtete sich und entspannte sich dann wieder. Alles unter der sorgfältigen Leitung des Dirigenten, der diesmal ein vielleicht überraschend ruhiges Tempo wählte. Aber Kaspar Zehnder scheint zu wissen, was er tut; er will allen Raum zum Spielen geben, und dabei gelingt es ihm, das Ensemble in einem bezaubernden Zusammenhalt zu halten. Die Zuhörer sind verzaubert.
„Spielerisch zaubert der Dirigent die vorgegebene Melodie herbei,
spielt mit ihren Nuancen,
berauscht sich an der Lieblichkeit,
um dann mutig die Kadenz des ersten Satzes zu bewältigen.“
Dann kommt der elegante Gentleman, der Virtuose Jiří Vodička. Es folgt Felix Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert in e-Moll, op. 64. Der Solist spielt nicht auswendig; manchmal, wenn er nicht mit dem Dirigenten kommuniziert, ruhen seine Augen auf dem Monitor mit den Noten. Aber das stört niemanden, denn der Klang, der durch den Saal getragen wird, ist wichtiger. Und das wiederum hat eine magische Wirkung auf das Publikum. Spielerisch zaubert der Dirigent die vorgegebene Melodie herbei, spielt mit ihren Nuancen, berauscht sich an der Lieblichkeit, um dann mutig die Kadenz des ersten Satzes zu bewältigen. Das Werk fließt dank der Verflechtung der einzelnen Sätze, aber auch dank des sensibel gehandhabten Wechsels des souveränen Solisten mit dem in jeder Hinsicht verlässlichen Orchester zum erwarteten Erlebnis schon vor der Pause. Die Aufführung, der wir beiwohnen, zeigt deutlich, dass auch ein weniger virtuoser Part ein Gewinn sein kann, wenn der Violine Raum gegeben wird, um die Melodie behutsam zu entwickeln, und wenn der Schwerpunkt auf einer suggestiven Instrumentation liegt.
„Das Orchester unter seiner Leitung spielt wie ein Schweizer Uhrwerk“
Auch Franz Schuberts Sinfonie h-Moll D 759 „Unvollendete“ basiert in beiden Sätzen auf Melodien und deren Wiederholungen. Es ist die Aufgabe des Orchesters, die Konzertbesucherinnen und -besucher auch ohne Kontraste und markante Motive zu fesseln, auf die der Komponist in diesem Fall mehr oder weniger verzichtet hat. Kaspar Zehnder wählt ein bedächtiges Tempo, das aber diesmal gefühlsmäßig flotter zu sein scheint. Das Orchester unter seiner Leitung spielt wie ein Schweizer Uhrwerk, es ist eine Freude, z.B. den Celli zuzuhören.
Mindestens zwei Mitglieder der Gruppe kenne ich noch aus meiner Studienzeit – sie waren damals Schüler von Josef Krečmer am Konservatorium in Pardubice, aber das ostböhmische Musikleben ist über die traditionelle Rivalität zwischen den beiden regionalen Städten erhaben.
„Das Orchester entfaltet Wagners unendliche Melodie,
als ob es um Eintrittskarten für Bayreuth bitten würde…“Und natürlich Richard Wagner am Ende. Tristan und Isolde, WWV 90, Ouvertüre und Isoldes Tod durch Liebe. Ein Konzertstück, das durch die einzigartige Kombination der Ouvertüre und des Schlusses eines ikonischen abendfüllenden Bühnenwerks entstanden ist. Hochromantik in ihrer ausdrucksvollsten und üppigsten Form. Jetzt zeigt euch, ihr Kampfhähne! Kaspar Zehnder macht eine Pause, das Haus steht still. Etwas Großes, Mystisches, Magisches, Atemberaubendes. Inklusive dem berühmten „Tristan“-Akkord. Das Orchester entfaltet Wagners unendliche Melodie, als ob es um Eintrittskarten für Bayreuth bitten würde… Nein, bleiben wir bodenständig, übertreiben wir nicht. Aber die Aufführung ist wirklich großartig, und es fällt schwer, sich ihrer Wirkung zu entziehen. Das Publikum wird ein letztes Mal verzaubert, um dann, immer noch in einer Art Trance, einen großzügigen, aufrichtigen Applaus zu erhalten.
Bilder: Jaroslav Klinský a Patrick Marek