Drei Herzensstücke zum Abschied

Nach zehn Jahren auf gemeinsamen Pfaden verabschiedet sich Konzertdirektor und Chefdirigent Kaspar Zehnder von TOBS und dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn. Mit im Gepäck hat er drei Herzensstücke, die alle auf die eine oder andere Art mit seiner Biografie verwoben sind. Obwohl den «nationalen» Stilen der jeweiligen Komponisten verpflichtet, sind doch alle Werke bezeichnenderweise auf Reisen, in Zeiten des Aufbruchs, entstanden.

Natalie Widmer, Dramaturgin Oper und Konzerte TOBS, hat mit Kaspar Zehnder über seine Werkwahl zu den Abschiedskonzerten in Solothurn und Biel gesprochen.

Natalie Widmer: George Enescu war sein Leben lang hin- und hergerissen zwischen seiner biographischen Heimat Rumänien und seiner künstlerischen Heimat Paris. Ist dieser Zwiespalt in seiner Musik hörbar? Und was verbindet Dich mit diesen beiden Orten?

Kaspar Zehnder: Ich glaube, man spürt nicht nur Rumänien und Paris, sondern auch Wien, die Klangballungen der Zeit nach Mahler. Natürlich geht Enescu aber primär von den Hirtengesängen und Volksliedern seiner Heimat aus und kleidet sie in die französische Ästhetik des frühen 20. Jahrhunderts. Als Repräsentant aktueller Kunstmusik geht er damit zurück zur Quelle der musikalischen Tradition und legt so fast zeitgleich einen ähnlichen Weg zurück wie Béla Bartók, Zoltán Kodály oder Leoš Janáček. Das Stichwort Quelle bringt mich zum zweiten Teil Deiner Frage: Ich war bereits als Kind fasziniert vom Lauf der Donau (folgt nicht auch die «Reise nach Tripiti» mehr oder weniger diesem Fluss?), später habe ich nicht nur mehrere Konzerte, sondern ganze Festivalprogramme «Donau abwärts» betitelt, und schliesslich habe ich in Rumänien auch meine Frau kennengelernt und bin nun jährlich mehrmals dort bei meiner zweiten Familie. Osteuropa und seine Musik haben mich wie ein Virus lebenslänglich infiziert. Und Paris? Ja, das ist auch eine Art Geisteskrankheit: Wer einmal dort gelebt hat – mir war das als Student während zwei Jahren vergönnt – kommt nie mehr davon los.

Manuel de Falla begann 1909, ebenfalls in Paris, seine verführerischen «Nächte in Spanischen Gärten» zu komponieren. Er schrieb im Programmheft zur Uraufführung: «Der wahre Grund, warum dieses Werk geschrieben wurde, ist kein anderer, als Orte, Stimmungen und Gefühle zu evozieren.» Ist es ihm gelungen? Und wenn ja, was löst das Stück in Dir aus?

«Nächte in Spanischen Gärten» gehört zweifellos zum Sinnlichsten, was je komponiert wurde. Es gibt in dieser Musik nicht nur Stimmungen und Klänge von Orten, sondern auch Düfte. Dabei geht Manuel de Falla weniger als Enescu den volkstümlichen Wurzeln seiner Heimat nach, sondern lässt vielmehr seiner Fantasie als Klangfarbenmischer freien Lauf. In mir als Hörer und Interpret wiederum löst seine Musik pure Emotionen aus. Aber es gibt noch eine andere Assoziation: In Spanien verspürte ich 2005 auf einer Tournee mit der Prague Philharmonia zum ersten Mal das Gefühl, beruflich angekommen zu sein. Die Kombination von tollen Arbeitsbedingungen und fantastischen Konzertsälen mit wunderbaren Orten und Gegenden hat mich fast unendlich glücklich gemacht. In de Fallas «Nächten» finde ich dieses Glück wieder.

Den anspruchsvollen Klavierpart übernimmt die baskische Pianistin Judith Jáuregui. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Judith gehört, wie übrigens viele Solist*innen, die ich selbst auswählen darf, zu diesen wunderbaren Begegnungen, wo man sowohl auf der Bühne wie im Gespräch sofort eine Verwandtschaft und Zuneigung spürt, ein Gefühl, sich schon lange zu kennen; musikalisch funktioniert es dann nicht nur, sondern es funkt auch, und diese positive Energie überträgt sich hoffentlich auch aufs Orchester und aufs Publikum.

Antonín Dvořáks 8. Sinfonie sollte eigentlich auf einer Konzertreise durch Russland zur Uraufführung gebracht werden. Doch dazu kam es nicht, und so erklang das Werk 1890 erstmals in Prag im Konzertsaal. Ihre Drucklegung in London brachte ihr schliesslich den Beinamen «die Englische» ein. Ein durch und durch kosmopolitisches Werk, könnte man meinen, dabei entstand sie im böhmischen Dörfchen Vysoká in der Sommerresidenz des Komponisten. Haben wir es also mit einem durch und durch tschechischen Werk zu tun?

Das kann man wohl so sagen. Dvořák hat darin die in Klassik und Romantik gesetzgebende Form ins Rhapsodische erweitert. Die Achte ist ein Potpourri von Slawischen Tänzen, ein Paradebeispiel für brillante Orchestration und ein Spiegel geradezu aller menschlicher Gefühle, emotionaler, geistiger und sogar geistlicher. Ich habe als Bub in Endlosschlaufe eine Aufnahme von dieser Sinfonie gehört, bin ihr als Assistent in Paris wieder begegnet und habe sie seither so oft dirigiert wie kaum ein anderes Stück. Sie war der eigentliche Grundstein meiner Liebe zu Dvořák und zur tschechischen Musik. In Biel/Solothurn übertrug mir Dieter Kaegi im ersten Jahr unserer Zusammenarbeit die Leitung der Oper «Rusalka», dafür bin ich noch heute dankbar. Biel und Solothurn, dem fantastischen Publikum, dem wunderbaren TOBS-Team und dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn werde ich sowieso immer in Dankbarkeit verbunden bleiben.