«klangantrisch» – Berner Voralpen-Musikfestival, 18. bis 22. Mai 2022
Das Festival klangantrisch fand 2015 zum ersten Mal statt. Die Idee war an einem gemeinsamen privaten Kochevent entstanden: Peter Engeloch, ein alteingesessener Riggisberger mit langer Familientradition in der Reise- und Personentransportbrache und Thomas Marti, ein neu zugezogener Riggisberger, überlegten sich, wie das verträumte Dorf Riggisberg mit traumhaftem Alpenblick am Fusse des Gantrischgebiets in den Berner Voralpen aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden könnte. Die Lösung war buchstäblich naheliegend: Googelt man Riggisberger Persönlichkeiten, stehen mit Werner Abegg (1903-1984) und Kaspar Zehnder (*1970) die Zeichen ganz auf Kultur.
Kaspar Zehnder im Gespräch mit der Fachjournalistin Angela Kreis-Muzzulini:
AKM: Kaspar Zehnder: Was hat dich dazu bewogen, dich für klangantrisch zu engagieren?
Ich war zurzeit der Anfrage aus Riggisberg einerseits erfolgreich mit dem Festival Murten Classics und im Zentrum Paul Klee in der Region tätig und andererseits als Chef der Prague Philharmonia auch international unterwegs. Meine voralpine Herkunft ist mir aber immer sehr wichtig geblieben. Ein Teil meiner Familie wohnt immer noch in Riggisberg.
Im erweiterten Kreis diskutierte man in Riggisberg bald das konkrete Projekt «klangantrisch». Dabei gingen meine Kolleginnen und Kollegen wohl primär davon aus, dass ich ein Klassikfestival nach dem Vorbild der Murten oder Interlaken Classics aufbauen würde. Mir schien ein anderes Konzept attraktiver. Als ein im Dorf aufgewachsener Bub kannte ich das Spannungsfeld zwischen Randregion und Zentrum aus Erfahrung und glaubte zu spüren, was die Bedürfnisse der Dorfbevölkerung waren. Also schlug ich ein lokal verankertes Festival-Profil vor, das von der Dorfbevölkerung mitgetragen werden sollte.
Was ist das Besondere am Festival klangantrisch?
Riggisberg liegt mitten im Naturpark Gantrisch, einer landschaftlich spektakulären, aber touristisch wenig erschlossenen Region. An nennenswerten Orten gibt es vor Ort und in der Umgebung die Abegg-Stiftung, die Kirchen Riggisberg, Rüeggisberg und Kirchenthurnen, die Klosterruine Rüeggisberg, das Schloss Riggisberg (heute Wohnheim Schlossgarten). Bei der Suche nach einem grösseren Veranstaltungssaal nahmen wir dankbar das Angebot unseres Mitinitianten Peter Engeloch an, seine Busgarage in ein Festivalzentrum umzuwandeln. Dass der Busterminal der Firma Engeloch einen Konzertsaal hergeben würde, der weder optisch noch akustisch keine Vergleiche zu scheuen braucht, konnten wir in der Planungsphase nicht wissen, aber das ist wohl der Treffer ins Schwarze, mit dem wir künstlerisch trumpfen können. Als weitere Besonderheit zählt die lokale Verankerung, die sich in den Helfer*innen-Kreisen, im Publikum und in der Liste der unterstützenden Personen und Institutionen reflektiert. Im regionalen und nationalen Bekanntheitsgrad haben wir klar Aufholbedarf, da sind wir dran. Aber ich finde immer wichtig, dass man klein anfangen und langsam grösser werden sollte. Vielleicht ist das eine meiner urprovinzlerischen Eigenschaften.
Was bedeutet das Festival klangantrisch dir persönlich?
Ich muss sagen, dass mich selten eine Anfrage so gefreut hat wie die Initiative, am Ort, wo ich geboren und aufgewachsen bin, einen kulturellen Leuchtturm aufzubauen. Meine Ideen überschlugen sich: musikalischer Spaziergang, kulturelle Animation am Samstagmorgen auf dem Dorfplatz, spontane, zufällige Durchmischung des Dorfpublikums mit lokalen, regionalen, nationalen und internationalen Musiker*innen auf der improvisierten Bühne eines Lastwagenanhängers. Diese Outdoor-Aktionen konnten übrigens während der Corona-Pandemie relativ leicht ausgebaut werden und hielten die Flamme in der «kulturfeindlichen» Zeit mindestens minim am Brennen. In Zusammenarbeit mit dem Naturpark Gantrisch werden wir sie fortan als punktuelle Jahreszeiten-Aktionen an schönen Orten der Umgebung weiter anbieten.
Was inspiriert dich dazu, nicht ein Klassik-, sondern ein Crossover-Festival zu veranstalten?
Ich habe in allen meinen bisherigen Tätigkeiten unwillkürlich einen persönlichen Schwerpunkt entwickelt. In Murten war es das familiäre, klassische Traditionsfestival, das in 35 Konzerten ein Thema näher beleuchtete. Im Zentrum Paul Klee war es das interdisziplinäre, an Bildende Kunst und Architektur angelehnte zeitgenössische Element, das mich faszinierte. Beim Sinfonie Orchester Biel Solothurn habe ich im soziokulturellen Kontext viel dazugelernt. Und im klangantrisch wollte ich unbedingt etwas Neues ausprobieren, deshalb habe ich mich auf ein Terrain gewagt, das mir vorher völlig fremd war: klangantrisch fördert den Dialog von Klassischer mit Nichtklassischer Musik, möchte Berührungsängste abbauen. Wichtigste Frage dabei: Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Kommerz? Wir machen Kunst. Und ich persönlich möchte Künstlerinnen und Künstler aus andern Musiksparten und -stilen kennenlernen, als Bereicherung meiner eigenen, vornehmlich im klassischen Bereich angesiedelten Musiker-Tätigkeit. Das funktioniert nicht immer, aber erstaunlich oft.
Wie wählst du als künstlerischer Leiter die Acts und Programme für das Festival aus?
Es ist primär eine Frage der Chemie zwischen den Beteiligten, die stimmen muss. Das reine Erfüllen von eingereichten Stage Plans, To-Do-Lists und Technical Riders interessiert mich überhaupt nicht. Das ist nicht anders, wenn ich mich in rein klassischem Kontext bewege: Mich interessiert nicht primär die Agentur, die mir ein Produkt verkauft, sondern der Mensch, der künstlerisch und kreativ hinter dem Produkt steht. Wir haben zum Beispiel mit Sina, Jaël, James Gruntz, Tinu Heiniger, Shirley Grimes, Trummer, Eliana Burki bisher fast nur ideale Erfahrungen gemacht. Ich bedaure sehr, dass es wegen der Pandemie nicht mehr möglich war, das Konzert mit dem kürzlich verstorbenen «Urgestein» Endo Anaconda durchzuführen; und ich bin sehr gespannt auf Eliane Müller und SEVEN in diesem Jahr.
Was ist für die Zukunftsicherung des Festivals geplant?
Im klassischen Bereich habe ich immer darauf geachtet, dass ich aus meinem internationalen Netzwerk Leute einlade, denen die ausgesprochenen Schönheiten unserer Natur, das Herzblut unseres Festivals und der Menschen vor Ort auch so viel bedeuten, dass sie die relativ bescheidenen Bedingungen, die wir bieten können, fraglos akzeptieren. Wir sind sehr persönlich, familiär und nahbar. Das einstige touristische Flaggschiff der Region, das Grand-Hôtel Gurnigelbad, welches zu Beginn des 20. Jahrhunderts eines der grössten und bekanntesten Hotels Europas war (!), hat man leider in den 1950er Jahren abgerissen. Und auch das kleinere, aber ebenfalls sehr schöne Schwefelbergbad ist bedauerlicherweise seit Jahren geschlossen. Wir planen zum Zehnjahresjubiläum von klangantrisch die Geschichte des Gurnigelbads in Form eines Musicals wieder aufleben zu lassen. Damit wollen wir den Grundstein zu einer neuen Goldenen Ära der faszinierenden Region legen. Das ist übrigens auch eine von Peter Engeloch, dem Transportunternehmer aus Riggisberg, formulierte Idee. Er hat bei mir damit offene Türen eingerannt.
AKM Eine letzte Frage kann ich mir nicht verkneifen: Wie ist es zu diesem meiner Meinung nach sperrigen Namen klangantrisch gekommen. Wäre es nicht viel selbsterklärender und einfacher gewesen, von einem Gantrischklang-Festival zu sprechen? In der Region kämen wir mit dem Namen Gantrischklang zu sehr ins Gehege der Volksmusik-Formationen. Der Gantrischklang ist schon eher die Folge vom klanGantrisch, aber das braucht Zeit. Wir werden mehr und mehr die in Riggisberg ausprobierten klingenden Projekte ins Land hinaustragen, Jaël und die Kummerbuben sind mit dem gleichen Projekt nicht nur nach Montreux, sondern sogar bis nach Litauen eingeladen worden.